Christoph Schambach • Komponist

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Lebensbilder

Geburt und frühe Kindheit

Im traurigen Monat November war's, die Tage wurden trüber, als sich im kleinen Dorf Glöwen in der Priegnitz das erste Drama meines Lebens abspielte. Bereits bei meiner Geburt. Gerechterweise sollte ich sagen, dass dieses erste Drama gar nicht mich betraf, sondern viel mehr meine arme Mutter.

Es war in den frühen Morgenstunden des ausgerechnet 13.(!) Novembers des Jahres 1963, die Uhr hatte gerade 4:45 Uhr geschlagen, als meine hochschwangere Mutter bemerkte, dass ihr zu erwartendes Kind es offensichtlich für gekommen sah, das Licht der Welt zu erblicken. Ungeachtet der herbstlich kathastrophalen Lichtverhältnisse. Meinem Vater, ein junger Landarzt, der, man muss es fairerweise erwähnen, erst kurze Zeit vorher von einem anstrengenden Hausbesuch nach Hause zurück kam, passte es gar nicht, schon wieder sein wohlig warmes Bett verlassen zu müssen, nur um seine in den Wehen liegenden Frau die knapp 20 km bis zum nächsten Krankenhaus in Perleberg zu bringen. So kam es, dass er, nun doch den Ernst der Lage erkennend, sich umgehend an eine Hebamme im Nachbarhaus wandte. Knapp 20 Minuten später war die Sache erledigt. So jedenfalls wurde es mir berichtet - ich bin zwar selbst dabei gewesen, kann mich aber an Feinheiten im Zusammenhang mit diesem Erlebnis selbst nur noch vage erinnern.

KindheitsbildnisWen wundert es also, dass dieses renitente Verhalten meinerseits sich bereits in der frühen Kindheit fortsetzte. Anstatt mit meinem zwei Jahre älteren Bruder und meiner ein Jahr älteren Schwester im Vorgarten im Sandkasten zu sitzen und an der Architektur der gewaltigsten Sandburgen zu feilen, unser Opa väterlicherseits war schließlich Architekt am Bauhaus in Weimar, kletterte ich wütend und heulend an den hölzernen Rand des Kastens und schlug mit meiner Stirn so lange auf die Bretter, bis meine Mutter kam und mich mit in die Wohnung nahm. In der Wohnung angekommen, setzte meine Mutter mich auf den Boden, wo ich ihr bei den häuslichen Arbeiten assistieren durfte. Dabei machte sie eine seltsame Beobachtung. Sie bemerkte, wie ich glückselig zum Radio krabbelte, in dem gerade irgenwelche leichte Barockmusik lief. Diese Glückseligkeit meinerseits war nicht von langer Dauer, denn als die Musik zu Ende war, setzte ich mein Geheule fort. Was taten meine Eltern? Sie kauften sich einen Plattenspieler und die entsprechenden Platten dazu. Und immer wenn die Gefahr bestand, dass ich meiner schlechten Laune wieder so richtig freien Lauf lassen würde, setzten sie das neue Gerät in Gang und ich war wieder, die Augen vor Glück verdrehend, ruhig.

Da sage einer, ich sei ein kompliziertes Kind gewesen, andere Kinder sind nicht so einfach zu beruhigen. Als meine Eltern mich etwa zwei Jahre später, wir wohnten bereits in Brandenburg/Havel, dabei erwischten, wie ich heimlich auf der viel zu großen Geige meines Vaters versuchte, Töne herauszubekommen, war ihnen klar, der Bengel gehört in die Musikschule.

Schulzeit und Musikschule

Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören oder lesen - so jedenfalls kam ich mir vor, als ich am Tag meiner Einschulung von meinen Eltern aufgefordert wurde, meine Schultüte zu suchen. Christoph mit SchultüteNun war es so, dass meine Schwester ein Jahr zuvor ihre Schultüte zu suchen hatte. Da ich mir gemerkt hatte, wo meine Eltern dieses Requisit versteckt hatten, ging ich schnurstracks ins Schlafzimmer und griff ganz selbstverständlich hinter die, bis zum Fußboden reichende, Gardine und hielt freudestrahlend die Zuckertüte in meinen Händen. Ich werde nie den enttäuschten Blick der beiden vergessen, die sich so sehr darauf gefreut hatten, welche Mühe ich damit hätte, die Schultüte zu finden.

Eingeschult wurde ich an der "Puschkin"-Schule. Zeitgleich meldeten mich meine Eltern an der Bezirksmusikschule Brandenburg/Havel an. Hier geschah nun eine Kuriosität, die mein Leben wahrscheinlich grundlegend geprägt hat. Es war nämlich so, dass in der Regel der angemeldete Musikschüler ein gewähltes Instrument erlernte und nebenbei auch Theorie- und Gerhörbildungsunterricht erhielt. Offensichtlich hatten meine Eltern etwas missverstanden und dachten, es wäre so eine Art Musik-Vorschule, in der man erst einmal ein Jahr lang die Grundlagen der Musik vermittelt bekäme. So saß ich als einziger in einer Theoriegruppe, ohne ein Instrument zu erlernen.

Am Jahresende mussten wir eine Prüfung ablegen, bei welcher ich von allen am besten abschnitt. Als mich der Theorielehrer fragte, bei wem ich welchen Instrumentalunterricht hätte, ging mein Geheul wieder los, denn ich war es gewohnt, Erwachsenen immer brav zu antworten, konnte es jedoch nicht, da ich ja noch kein Instrument zu Gesicht bekommen hatte. Das schlug einige Wellen, da man nur schwer begriff, wie ein Kind die Theorie ohne jede Praxis verstehen könne. Aber mir bereiteten die komischen Kullern in den fünf Zeilen überhaupt keine Probleme und eigentlich ist es bis heute so, dass mich das Musikdenken viel mehr fasziniert, als das Hören. Dass das Produkt letztlich ein Akustisches ist, ist mir schon klar, aber wie es dazu kommt und die inneren Zusammenhänge und Geheimnisse zu entdecken, ist für mich wesentlich spannender. Gut, dass es nicht jedem so geht!

Nach der zweiten Klasse wechselte ich, wie zuvor schon meine beiden Geschwister, an die Schule "Juri Gagarin" mit erweitertem Russisch-Unterricht. Das war ein großer Fehler! Die kindliche Illusion, erst einmal die russische Sprache zu erlernen, um später Kontakte knüpfen zu können, wurde schnell enttäuscht - der Unterricht war von der ersten Stunde an derart durchpolitisiert, dass einem nur schlecht werden konnte. Folgerichtig war nur klar, dass man versuchte, nach dem täglichen Schulunterricht Alternativen für sich zu suchen.

Das war zum einen bei mir die Musikschule und zum anderen die Christenlehre und der anschließende Konfirmandenunterricht, bzw. die junge Gemeinde. Zumal ich die meisten, die ich aus der Musikschule kannte, in der Kirche wiedergetroffen habe. Man war also eine verschworene Gemeinschaft. Sie gab uns viel Halt. Schule und Freizeit waren somit zwei sich komplett gegensätzlich verhaltende Extreme, die es galt, unter einen Hut zu bringen. Immer wieder wurde uns eingetrichtert, in der Schule nicht das zu sagen, was die Welt außerhalb der Schule versucht hat, wieder geradezurücken. Dass es da bei pubertierend Heranwachsenden auch schon mal zu Ausrutschern kam, wird niemanden verwundern. Der Ärger war also vorprogrammiert. Aus heutiger Sicht denke ich oft, dass sich ein solch kleinkariert engstirniges System auf Dauer nicht halten konnte. Ein Wunder ist eher, wenn man den ganzen Mist halbwegs schadlos überstanden hat. Wobei mir die Musik eine große Hilfe war.

Nachdem ich mich zuvor an der Franz-Liszt-Musikhochschule in Weimar erfolgreich beworben hatte, schloss ich die unsägliche Schulzeit doch irgendwie erfolgreich ab, legte an der Musikschule meinen Oberstufenabschluss mit dem Prädikat "Auszeichnung" hin und freute mich nun auf das kommende Studium, das sich allerdings auch als komplizierter entpuppen sollte, als gedacht.

Erstes Studium und Exmatrikulation

Eine gute Sache war, dass man als angehender Musikstudent die Möglichkeit hatte, sofort nach der 10. Klasse ein sogenanntes Vorstudienjahr zu absolvieren. Das heißt, dass man gleich nach der Schule ohne Abitur innerhalb eines Jahres seine Hochschulreife für Kunststudien erlangen konnte. Dadurch verlor man nicht unnötig Zeit, in der gerade bei z.B. Streichern oder Pianisten die Finger altersbedingt schon steifer werden. Nur mit der "Reife" war es bei mir so eine Sache.

Klar stürzte ich mich zunächst einmal freudig in das große Abenteuer, die neu gewonnene Freiheit zu genießen. Jedoch blieb das Phänomen "Üben auf dem Instrument" dabei ziemlich auf der Strecke. Hinzu kam, und hier griff wieder die Willkür des Systems, dass über meinen Kopf hinweg entschieden wurde, dass ich von einem Tag auf den anderen nicht mehr Geige zu spielen hätte, sondern Bratsche. Dagegen war nichts zu machen. Ich hatte in den Augen des Lehrerkollegiums so schöne große Hände, dass ich zu diesem Instrument verdonnert wurde. Ich war todunglücklich, hätte aber die Hochschule sofort wieder verlassen müssen, hätte ich mich nicht darauf eingelassen. Da hatten selbst meine Eltern keine Möglichkeit, das zu ändern.

Dass so ein unpädagogisches Verhalten nicht gerade dazu beigetragen hat, meine Übungswut ins Unermessliche zu steigern, wird der geneigte Leser sicher nachvollziehen können. Dennoch konnte ich mir Kunststückchen nicht verkneifen, wie z.B., dass mir ein mir unbekanntes Stück vorgelegt wurde, das ich einmal durchspielen durfte und es hinterher in einer x-beliebigen Tonart fehlerlos auswendig vorspielte. So ganz unbegabt konnte ich also nicht sein, wobei ich selbst sagen muss, dass so eine Begabung kein Verdienst ist, sondern angeboren. Nichts als eine Zirkusnummer.

Was man allerdings nicht lernen kann, ist, sich schöne Melodien auszudenken. (Ich habe mit neun Jahren eine Melodie geschrieben, die ich bis heute wie meinen Augapfel hüte, um sie irgendwann einmal in die ihr angemessene Form zu gießen.) Aus meiner ersten Studienzeit stammen viele Einfälle, mit denen ich noch heute arbeite. Von Kommilitonen ermutigt, nahm ich mir irgendwann ein Herz und stellte mich und meine Melodien dem Abteilungsleiter der Fachschaft Tonsatz/Komposition, Herrn Herbert Kirmße, vor, der mich sofort annahm. Er ermöglichte es sogar, dass dieses Fach zu meinem 2. Hauptfach wurde, obwohl Komposition damals eigentlich nur als Nebenfach an dieser Hochschule gelehrt wurde. Das war, wir werden es später sehen, meine Rettung!

Nun plötzlich aber hieß es, sich nicht mehr, wie der gute alte Erich Mühsam gesagt hätte, "vom Mond zu kollossalen Inspirationen hinreißen zu lassen", sondern knallhartes, und manchmal auch ermüdend trockenes, aber unvermeidlich wichtiges Handwerk zu erlernen. Zu meinem eigenen Erstaunen merkte ich, dass ich gar nicht faul war, sondern diese Übungen mit dem größten Eifer verfolgte. Wer drei Jahre lang strengen Kontrapunkt nach Ernst Pepping büffelt, der weiß, wovon ich rede. Herbert Kirmße war in dieser Hinsicht unerbittlich und so musste ich da durch. Die Kontrapunktstudien haben mir erst die Augen geöffnet, was Stimm- und Melodieführung betrifft. So stellten sich diese Trockenübungen später als kollossal wichtig heraus. Und dafür danke ich Herbert Kirmße bis heute!

Nun war es leider damals so, dass man zwar Musik studieren durfte, aber viel wichtiger war es, sich in den Fächern Politische Ökonomie, Marxismus/Leninismus und Wissenschaftlicher Sozialismus die wirklich wichtigen Grundlagen für sein späteres Leben anzueignen. Es war so, dass die gesellschaftspolitischen Fächer mehr als 2/3 des Studiums ausmachten. Warum nur?! Vielleicht würde die DDR noch existieren, wenn ihre "Volksvertreter" die Bevölkerung nicht so gegängelt hätten. Ein Teil der Bevölkerung wurde zu diesem Zeitpunkt schon langsam unruhig und begann, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen.

Bei mir z.B. äußerte es sich darin, dass ich anfing, bedingt durch die Junge Gemeinde, in der damaligen Friedensbewegung aktiv zu werden. Es kam das Lutherjahr 1983 und die damit verbundene kirchliche Friedensaktion "Schwerter zu Pflugscharen", die von den DDR-Oberen strickt untersagt Friedensaufnäherwurde. Jugendlich leichtsinnig, wie ich nun einmal war, nähte ich mir dieses Symbol selbstredend auf meinen Parka. Das ging ein paar Wochen gut. Doch als ich Ostern '83 mit einem Freund von Weimar nach Leipzig fuhr, endete der ganze Spaß. Die Transportpolizei am Leipziger Hauptbahnhof griff alle Leute auf, die diesen Aufnäher trugen. So auch mich. Wir wurden auf die Wache gebracht und aufgefordert, selbst den Aufnäher zu entfernen. Wer es nicht tat, landete in einer Zelle. So auch ich. Aber ich hatte eine grandiose Idee. Ich hatte nämlich die Bratsche dabei, die sie mir nicht - und ich fürchte, das werden sie noch heute bereuen - wegnahmen. Ich "durfte" das Instrument mit in meine kleine neue Unterkunft nehmen.

Also, was macht man mit der neu gewonnenen Freizeit? Richtig: Man übt! So kratzte ich aufs Jämmerlichste los, dass es - nun gut, für mich - nur so eine Freude war. Die Polizisten sahen, oder besser hörten, es offensichtlich anders, denn es dauerte gar nicht lange, bis mir meine neue "Studentenbude" wieder weggenommen wurde. Man gab mir sogar den, vorher eingezogenen, Annorak wieder, jedoch ohne Friedensaufnäher.

Dass dieser Zwischenfall nicht ohne Folgen bleiben würde, hätte ich mir eigentlich denken müssen. So kam es, dass ich einige Tage später vor das "Hochschultribunal" gezerrt wurde, wo ich Rede und Antwort stehen musste. Dieses Tribunal bestand allerdings nur aus dem Direktor für Studienangelegenheiten Herrn Dr. Wallraff. Dieser Herr Dr. Wallraff war damals schon ein uralter Mann, der kurz vor seiner längst überfälligen Pensionierung stand. Ein hochanständiger Kerl und aufrechter Kommunist, der zu Zeiten des Nationalsozialismus` furchtbare Dinge erlebt haben muss.

Den mochte ich und er mich. Bei diesem Vieraugengespräch verriet er mir, mit der Bitte, es für mich zu behalten, dass auch er zu tiefst enttäuscht von der Entwicklung in der DDR sei. Selbst diese Leute hatten noch Angst. Solange er an der Hochschule war, hielt er immer seine schützende Hand über mich, wir beide konnten uns, warum auch immer, einfach gut leiden. Dieser Schutz hielt nicht lange, denn eines Tages war er weg. Sein Nachfolger wurde ein strammer stalinistischer und linientreuer Parteisoldat übelster Couleur, der es selbstredend auch nach der "Wende" zu Ruhm und Ehre brachte. Das krasse Gegenteil von seinem Vorgänger. Man schämt sich, diese beiden Männer in einem Atemzug erwähnen zu müssen.

Aus heutiger Sicht muss ich allerdings sagen, dass mein damaliges Verhalten nicht sehr diplomatisch war. Denn, nachdem ich den oben erwähnten Aufnäher entfernen lassen musste, bastelte ich mir einen Sticker mit der Aufschrift "Panzer zu Gießkannen", der nun an meinem Parker prangte. Auch den musste ich entfernen, worauf ich einen Sticker mit dem Aufdruck "Frust kommt" ansteckte. Zu diesem Zeitpunkt war mir bereits klar, dass bei dem neuen Direktor für Studieangelegenheiten meine Zeit an dieser Institution nun dadurch abgelaufen war. Da wollte ich ihn wenigstens noch ein bisschen ärgern.

Folgerichtig bekam ich einige Wochen später, es war in den großen Sommerferien, den erwarteten Exmatrikulationsbescheid, was mich nicht wunderte. Jetzt hat sich allerdings die Hochschulleitung, bzw. das DDR-System selbst ein Bein gestellt. Es durfte nicht zugegeben werden, jemanden aus politischen Gründen zu feuern, also erklärte man meine Exmatrikulation mit fachlichen Gründen. Diese lagen allerdings keineswegs vor. Also schrieben meine Eltern an den Generalsekretär und Vorsitzenden des Staatsrates, Genossen Erich Honecker, eine Eingabe mit der Bitte, die eigentlichen Gründe für meine Exmatrikulation zu nennen. Das hatte nun wiederum zur Folge, dass drei Wochen später, ohne jede Begründung, ein Reimmatrikulationsbescheid in unseren Briefkasten flatterte. (An höherer Stelle wusste man nämlich, dass, wenn die wahren Gründe genannt worden wären, einem eigentlich nichts anderes übrig blieb, als einen Ausreiseantrag aus der DDR zu stellen, was unter allen Umständen verhindert werden sollte.) Ausserdem stand die Abteilung Tonsatz/Komposition geschlossen hinter mir, es wurde sogar das Hauptfach Komposition eingerichtet.

Dennoch musste ich noch einmal eine Aufnahmeprüfung in diesem Fach ablegen, was rein pro forma war und lediglich zum Ziel hatte, mir Zeit zu stehlen. Aufnahmeprüfungen waren nämlich immer im Februar für ein Studium frühestens im Herbst des selben Jahres. Man musste auch nachweisen, dass man in der Zwischenzeit einer geregelten Arbeit nachgegangen war. Viel schlimmer aber war, dass man, inzwischen im entsprechenden Alter, seinen "Ehrendienst" in der Nationalen Volksarmee leisten musste. Das hieß, insgesamt waren drei Jahre futsch. Doch ich war jung und brauchte keine Zeit.

Brandenburger Theater

Jetzt begann zunächst eine sehr schöne Zeit in meinem Leben. Mit Beginn der neuen Spielzeit im September 1983 bekam ich einen Job als Inspizient mit Schauspielverpflichtung am Brandenburger Theater. Na das war ein Spass! Als Inspizient hat man schon einige Verantwortung, dass eine Vorstellung reibungslos über die Bühne geht, was auch entsprechend honoriert wird. Nebenbei brillierte ich geradezu als Laiendarsteller in Rollen wie z.B. die eines Volkspolizisten.

Wie dem auch sei, ich tat es mit Vergnügen. Da ich immer ganz praktisch auf dem Klavier war und es sich ausserdem rumgesprochen hatte, dass ich Komposition studieren werde, hat es auch gar nicht lange gedauert, bis man auf mich zukam und mich fragte, ob ich nicht beim Training für das Hausballett, das Brandenburger Theater war schließlich ein Dreispartenhaus, und das Kinderballett das Klavierspiel übernehmen könne. Das war für mich gar nicht schlecht, da ich meiner Improvisationslust so richtig freien Lauf lassen konnte. Auch viele Sänger des Hauses baten mich, ihnen beim Einsingen zu helfen. All das tat ich mit dem größten Vergnügen.

Hier bekam ich auch meinen ersten Auftrag für eine Schauspielmusik zu einem Kinderstück. Durch diese Nebeneinkünfte habe ich, für damalige Verhältnisse, ziemlich viel Geld verdient, so dass ich meinen Lebensunterhalt komfortabel selbst bestreiten konnte.

Wehrdienst

Eines Tages traf das Unvermeidliche ein. Ich musste mich beim Wehrkreiskommando melden, um zu erfahren wann ich "gezogen" werden würde. Es gab in der DDR die Möglichkeit, den Dienst an der Waffe zu verweigern, was selbstredend nicht gern gesehen wurde, aber immerhin, die Möglichkeit bestand. Wer sich einmal für diesen Bausoldatendienst entschieden hatte, war selbstverständlich "unten durch" und hatte in der Regel überhaupt keine Chance mehr zu studieren.

Bei meiner Vorgeschichte allerdings, ich hatte ja den Reimmatrikulationsbescheid in der Tasche, war es klar, dass man mir den nicht schon wieder hätte nehmen können. So ging ich also fröhlichen Schrittes in dieses Wehrkreiskommando und verweigerte die Waffe. Ohnmächtige Wut überkam die Genossen Offiziere, doch es blieb ihnen nichts anderes übrig, als meine Entscheidung zu akzeptieren.

So wurde ich im Mai 1985 in eine Kaserne in Doberlug-Kirchhain eingewiesen, in der ich allerdings nicht lange blieb. Denn ich wurde ins größte Armeelazarett der Warschauer Vertragsstaaten versetzt, nach Bad Saarow. Nun war ich wenigstens wieder in der Nähe meiner Heimat, wo ich an so manchem Wochenende den Ausgang dazu nutzte, mich heimlich auf den Weg nach Wusterwitz zu meinen Eltern zu machen, oder mich in Berlin amüsierte.

Skizze von Philipp HoffmannIn dieser Zeit fiel mir ein Bändchen mit Gedichten von Erich Mühsam in die Hände, von denen ich augenblicklich völlig in den Bann gezogen wurde. Ich fühlte eine derart große Seelenverwandschaft mit diesem Mann, dass ich sofort, wie in einem Rausch, einige seiner Gedichte zu vertonen begann. Die Ideen flogen mir nur so zu, sodass ich an einigen Tagen tatsächlich mehrere Gedichte hintereinander vertonte. Doch der nächste Schicksalsschlag kam unweigerlich.

Ein Schicksalsschlag allerdings, der sich als einer meiner größten Glücksfälle im Leben erweisen sollte. Durch mein renitent nervendes Verhalten wurde ich nämlich nach einigen Monaten nach Doberlug-Kirchhain zurückversetzt. Bad Saarow galt in den Augen von Bausoldaten als Sanatorium. In Doberlug-Kirchhain bewohnten die Bausoldaten einen Neubaublock, zwar innerhalb des Kasernengeländes, doch mitten im Wald gelegen, sodass die normal dienenden Soldaten kaum Kontakt zu uns Staatsfeinden aufnehmen konnten. Wir waren die "Bauluden", mit dem der Rest der Bevölkerung nichts zu tun haben sollte. Es war auch schon ein seltsames Häufchen, die 120 Bausoldaten. Vom angehenden Theologieprofessor bis zum ganzkörpertätowierten Vollblutverbrecher war alles vertreten. In einem waren sich aber alle einig, in der Ablehnung des bestehenden Systems.

Ich erfuhr eines Tages, dass sich unter uns auch jemand befände, der nach seiner Armeezeit Schauspiel studieren würde. Auch er also ein Glücklicher, der es irgendwie geschafft hatte, das System zu überlisten. Wir kamen ins Gespräch und ich erzählte ihm, dass ich an einem "Erich-Mühsam"-Abend für Schauspieler und Klavier arbeiten würde. Er wurde hellhörig. Er kommt aus einer Musikerfamilie und ist auf diesem Gebiet selbst sehr begabt.

Ich hatte als angehender Musikstudent das Recht, jeden Tag nach "Feierabend" zu üben - das hieß, dass ich das Offizierscasino, in dem das einzige Klavier stand, nutzen durfte. Da wir aber wie Aussätzige behandelt wurden, durfte kein anderer in dieser Zeit dort hin. Ich hatte somit das Casino für mich allein - so fiel es auch nicht auf, dass ich plötzlich jemanden mitbrachte.

Ich spielte Daniel Morgenroth, so ist sein Name, das bisher Fertiggestellte vor. Er war total begeistert. Jetzt hatte ich einen Compagnon, der genauso Feuer und Flamme war. Ab nun nutzten wir buchstäblich jede freie Minute, und wir hatten jede Menge davon, um an diesem Programm zu arbeiten. Leider habe ich es verpasst, meine Werke mit Opuszahlen zu versehen, aber in einem bin ich mir ganz sicher: Hätte ich damit angefangen, und es ist gut möglich, dass ich es noch nachhole, wäre dieses "Erich-Mühsam-Programm" mein op.1.

Es spricht schon für sich, dass dieses Programm nach fast 35 Jahren noch immer, heute allerdings in unregelmäßigeren Abständen, unverändert präsentiert wird. Trotz der großen politischen Umwälzungen in diesem Land.

Als das Programm endlich fertig war, es war kurz vor unserer Armee-Entlassung Ende Oktober 1986, durften wir es sogar in der Kaserne voraufführen, unter Beteiligung ganz normaler Armeeangehöriger. Wir benutzten in diesem Programm ausschließlich Mühsams Texte und der war in der DDR nun einmal akzeptiert, obwohl er ein Hauptvertreter des deutschen Anarchismus war. (Als aufrechter Antifaschist, der für seine standhafte und mutige Haltung mit seinem Leben bezahlt hatte, war er anerkannt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sein Gesamtwerk bis heute nicht veröffentlicht werden durfte und ihm bis Ende der 1980er Jahre ein Ehrengrab in Westberlin, wo er bestattet ist, verweigert wurde.)

Doch zurück zur Voraufführung in der Kaserne, die sehr viel unkomplizierter war, als nachher die öffentliche Uraufführung in der "zivilen" Gesellschaft. (Man war in der Kaserne halt unter sich.) Der Jubel nach dem letzten Lied war riesengroß, sodass wir eine Zugabe nach der anderen geben mussten, womit ich gerechnet hatte. Ich hatte noch weitere Texte vertont, die mir sehr gefielen, die sich aber nicht in den dramaturgischen Ablauf des Programms integrieren ließen. Ein anwesender hoher Kulturoffizier kam nach der Vorstellung zu mir und gratulierte mir mit den Worten, er hätte es selbst nicht besser hinbekommen! (Was ich mir, ehrlich gesagt, bis heute nicht vorstellen kann, da dieser Genosse ja doch den wesentlich gefestigteren Klassenstandpunkt hatte.) Einige Tage später gehörte die Zeit meiner Wehrpflicht der Vergangenheit an.

Uraufführung des "Erich-Mühsam-Programms"

Wer nun dächte, mit überstandener Armeezeit wären die gröbsten Probleme erledigt, der irrt. Man konnte sich damals nicht einfach einen Veranstaltungsort suchen und fröhlich drauflos zwitschern. Obwohl die Nationale Volksarmee gerade bei Bausoldaten äußerst sparsam bei der Vergabe von Urlaubsscheinen war, mussten Daniel und ich in den letzten Wochen vor der Entlassung aus der Armee ständig in Berlin vor einer Kommission antanzen. Denn ein Programm mit Texten von Erich Mühsam, obwohl allesamt in der DDR verlegt, war den Kulturfunktionären trotzdem sehr suspekt. (Dies brachte uns wenigstens ein paar heiß ersehnte Sonderurlaubsscheine ein!)

Die Texte öffentlich vorzutragen, oder still in seinem Kämmerlein zu lesen, sind doch zwei grundverschiedene Dinge. Diese Zensurbeamten kamen "von ganz oben", also vom Ministerium für Kultur, und berieten, welche Songs wir bringen dürften, und welche nicht. Sechs- oder siebenmal mussten wir das Vorspielritual über uns ergehen lassen. Letztlich wurde das Programm derart zusammengestrichen, dass außer dem Eröffnungssong und einem harmlosen Textchen mittendrin alles andere auf dem Index landete. Das war schon absurd komisch.

Ich überlegte mir eine List und ließ mich auf die Kürzungen der Kommission ein. Der Abend wäre damit von einer guten Stunde auf etwa fünf Minuten verkürzt worden. Macht nichts, auf die Aussage kommt es schließlich an. Die Uraufführung war für das erste Novemberwochenende im Jugendclub des Kinos "International" in Berlin geplant. Der Saal war bis zum Sinken überladen.

Die Kommission war selbstverständlich auch vertreten. (Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!) Daniel und ich traten auf und brachten den Eingangssong. Heftigste Ovationen folgten diesem Lied - was blieb uns weiter übrig, als Zugaben zu geben. Kurz entschlossen spielten wir das gesamte Programm und deklarierten es als Zugabe. Was sollten denn die Apparatschiks tun? Die Vorstellung unterbrechen? Fünf oder sechs Beamte gegenüber mehr als über hundert Gästen, die auch noch Eintritt gezahlt hatten. Man drohte uns nach der Veranstaltung großen Ärger an, aber offensichtlich, durch den überwältigenden Erfolg des Programms eingeschüchtert, verlief die Sache im Sand und wir hörten nie wieder etwas von diesen Leuten.

Seit dem Tag blieben wir, jedenfalls was diesen Liederabend betraf, unbehelligt und konnten es spielen, wo immer wir Angebote bekamen.

Zweites Studium und der Anfang am Deutschen Theater Berlin

Wolf Günter LeidelJetzt war es endlich so weit! Ich konnte studieren, was ich immer schon studieren wollte: Komposition und im Nebenfach auch noch Dirigieren. Das Beste von allem war, dass ich bereits während meines ersten Studiums die gesamten gesellschaftlichen Fächer abge­schlos­sen hatte, sodass ich mich, wie es in anderen Ländern selbstverständlich gewesen wäre, wirklich auf das eigentliche Studium konzentrieren konnte. Mein ehe­ma­li­ger Lehrer und Abteilungsleiter Herbert Kirmße, er stand kurz vor der Rente, vermittelte mich an einen Hauptfachlehrer, um den mich jeder beneidete: Wolf-Günther Leidel.

Da haben sich zwei gesucht und gefunden! Leidl galt als das Enfant Terrible der Thüringer Komponistenszene. Wen wundert's, dass ich mich bei ihm bestens aufgehoben fühlte und wir innerhalb kürzester Zeit ein Herz und eine Seele wurden. Ihm stellte ich das Mühsam-Programm natürlich auch vor. Da er einen guten Draht zum Deutschen Nationaltheater Weimar hatte, fädelte er eine Aufführung im Theaterclub des Hauses ein. Hier konnte ich vor echten Theaterprofis ausprobieren, inwieweit mein Programm tatsächlich Hand und Fuß hat. Auch hier war die Zustimmung einhellig, sodass ich das Programm dort noch mehrmals spielen durfte.

Ich musste mir auch überlegen, womit ich nach dem Studium meine Brötchen verdienen möchte. Da kam die Beschäftigung mit dem Schauspieltheater wie gerufen. Leidl war nun wiederum Meisterschüler bei Rainer Bredemeyer an der Akademie der Künste. Leidl erzählte Bredemeyer von meinem Mühsam-Abend, woraufhin dieser eine Vorstellung in einem Club in Berlin besuchte. Das war sehr wichtig für mich, denn Bredemeyer war Chef der Schauspielmusik am Deutschen Theater Berlin. Es entstanden somit die ersten zarten Bande zu diesem Haus. Bredemeyer versicherte mir, dass es eins der besten Programme sei, die er je erlebt hatte.

Auch an der Schauspielhochschule "Ernst Busch", an der Morgenroth studierte, stellten wir das Programm vor. Daraufhin wurde mir ein postgraduales Studium an dieser Hochschule ermöglicht. Das heißt, um Praxis zu bekommen, unterrichtete ich die Schauspielstudenten im Singen und fing an, hochschulinterne Inszenierungen kompositorisch zu betreuen. Eine dieser Inszenierungen, der "Berliner November" - ein Stück von Holger Teschke im November 1988 im BAT, einem kleinen Theater im Prenzlauer Berg, das an die Schauspielhochschule angeschlossen war - war der Auslöser für die "Leichenoper".

Genaueres dazu unter dem Kapitel "Leichenoper" die "Kleine Geschichte zur Entstehung der Songoper".

Das Ganze spielte sich allerdings bereits in unserem dritten Studienjahr ab, sodass wir das vierte und letzte Studienjahr noch ableisten mussten. Ich betreute eine weitere Inszenierung am BAT und brachte den Studenten weiter fleißig das Singen bei. Da Daniel gleich am "Deutschen Theater" Berlin engagiert wurde, war es beinahe klar, dass ich auch dort landen würde. Erstens hatten wir uns inzwischen in der Theaterszene einen ziemlich guten Ruf erarbeitet, und zweitens war man bemüht, für dieses Haus einen zusätzlichen Musiker zu finden, da Bredemeyer schwer krank wurde.

Es gab noch einen Komponistenkollegen am Haus, Uwe Hilprecht, mit dem ich mich auf Anhieb bombig verstand. Ich war zwar immer nur Gast am Deutschen Theater, hatte allerdings zu der Zeit so viel dort zu tun, dass ich eigentlich täglich dorthin musste. Im Januar 1990 ist das "Mühsam-Programm" auch als feste Inszenierung, als Nachtvorstellung im Rangfoyer, von diesem Haus übernommen worden. So kam es, dass mein Studium in Weimar langsam austrudelte.

Eine Kuriosität im Zusammenhang mit dem Mühsam-Programm muss ich noch erwähnen. Der Liederabend fand im Rangfoyer im 1. Stock statt. Da dort nur zu den jeweiligen Vorstellungen ein Klavier stehen sollte, wurde für das Instrument ein Metallrahmen mit Rädern gebaut, sodass das Klavier problemlos dorthin gebracht werden konnte. Dadurch war es entsprechend höher und ich hatte ein kleines Podest, auf dem ich saß, um auch an die Pedale heranzukommen. Vor einer Vorstellung jedoch hat man mir versehentlich ein falsches Podest zur Verfügung gestellt. Ich saß zwar erhöht, aber unter den Pedalen fehlte die Erhöhung.

Kurz vor Vorstellungsbeginn habe ich mich immer noch ein wenig eingespielt, sodass ich glücklicherweise dieses Dilemma bemerkte und der Technik meldete. Man brachte mir augenblicklich ein altes, dickes Telefonbuch als Ersatz. Als ich mir dieses Telefonbuch etwas genauer ansah, stellte ich fest, es war von 1927 und aus Berlin. Die Zeit wurde zwar langsam knapp und ich weiß auch nicht mehr warum, aber dennoch warf ich einen Blick in dieses Buch. Und wer stand darin? Erich Mühsam! Mit Adresse und natürlich Telefonnummer. Ich habe es einfach nicht über das Herz gebracht, eine ganze Stunde lang auf Mühsam "herumzutreten".

Daniel war so freundlich und erklärte dem Publikum, warum sich der Anfang der Vorstellung um einige Minuten verzögern würde. Das Publikum hatte dafür großes Verständnis. Nachdem die Technik nun doch noch das ursprüngliche Podest herbeigebracht hatte, konnte die Vorstellung endlich beginnen.

Frido Solter, damals einer der wichtigsten Regisseure an diesem Haus, trat im Herbst '90 mit der Frage an mich heran, ob ich es mir zutrauen würde, eine völlig neue Orchestermusik zum "Peer Gynt" von Henrik Ibsen zu komponieren. Er hatte vor, dieses Stück am Haus zu inszenieren, mit Daniel in der Titelrolle. Dafür brauchte er eine für diese Inszenierung zugeschnittene Musik. Das war gleichzeitig die Bitte um die erste große eigenständige Schauspielmusik, die ich angeboten bekam.

Na, das war doch mal eine Herausforderung. Mir waren die großen Vorgänger, die sich auch an diesem Ungetüm von Dichtung ausgetobt hatten, sehr bewusst - was mich umso mehr reizte. Also frisch ans Werk und fleißig drauf los geprobt. Und als am 1. Mai 1991 die Premiere war, ist es eine fast sechsstündige Veranstaltung geworden. Da das Stück aber so vielfältig und kurzweilig ist, lief es ewig vor gänzlich ausverkauftem Haus. Als schließlich das Deutsche Theater im selben Jahr zum deutschsprachigen Theater des Jahres gewählt wurde, war diese Inszenierung ganz sicher nicht unbeteiligt an der Nominierung.

Es folgten Inszenierungen, wie z.B. "Molly Bloom" nach James Joyce, oder "Eine Sehnsucht, egal wonach", ein Berliner Liederabend mit Dagmar Manzel, Katrin Klein, Jochen Kowalski und Daniel Morgenroth. An den Instrumenten waren mein hoch verehrter Kollege Uwe Hilprecht und ich.

Selbstverständlich kam es auch hin und wieder zu künstlerischen Differenzen zwischen Regisseur und Komponist. So im Fall des "Kyklopen" nach Euripides. Solter und ich konnten uns einfach nicht auf ein gemeinsames Musikkonzept einigen; das lag ganz sicher zum großen Teil an mir, da ich während der Arbeit merkte, dass sich dieser Stoff eher für eine Oper eignen würde.

So was kommt eben vor. Ich arbeitete ihn nun dazu um. Das Libretto schrieb mir mein Freund Frank Bruder, der sich auch an der Textversion dieses Schauspiels zu schaffen gemacht hatte. Ich habe auch die Bekanntschaft mit dem Dramaturgen Eberhardt Schmidt von der Komischen Oper Berlin gemacht, der die Arbeit betreute. Durch ihn kamen auch Kontakte zum Chef-Regisseur Harry Kupfer zustande.

Der sagte zwar gleich, dass das Haus keine finanziellen Mittel hätte, diese Oper zu inszenieren; was mich nicht davon abbringen konnte, trotzdem bei ihm einen Vorspieltermin zu erbetteln. Ich drückte Kupfer die Partitur in die Hand, setzte mich ans Klavier und spielte ihm die komplette Oper vor. Da war er offensichtlich so beeindruckt, dass er mir versprach, er werde beim Intendanten vorsprechen und sehen, was sich machen lässt.

Tatsächlich wurde die Oper ausgewählt, als Uraufführung zum Jubiläum des 50. Geburtstag des Hauses, am 06.12.1997, aus der Taufe gehoben zu werden. Ein Notenverlag war auch schnell gefunden, da es damals noch um einiges komplizierter war, vernünftiges Notenmaterial zu erstellen. Die Proben liefen auch bereits, als mich eines Tages der Intendant anrief und mir mitteilte, dass man sich doch kurzerhand entschlossen hätte, die Uraufführung aus Kostengründen zu streichen. (Das hier versteckte Wortspiel um den damaligen Intendanten konnte ich mir nicht verkneifen.) Das war einer der schwärzesten Tage in meinem Leben! Wie recht Harry Kupfer doch hatte, als er mir vorher prophezeite, dass das Haus sowieso kein Geld hätte.

Zwei mir wichtige Uraufführungen muss ich aber noch erwähnen, die sich vor dem Dezemberdrama der Komischen Oper ereigneten. Die erste war am 20.04.1997 im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Es handelte sich um eine Matinee im kleinen Saal, bei der ein kleiner Streichquartettzyklus mit rezitierten Texten von Charles Baudelaire zu Gehör kamen. Es waren Übersetzungen von Carlo Schmidt. Bei der Musik handelt es sich um kleine Miniaturen. Wieder hat Daniel Morgenroth die Rezitation übernommen.

Die Regie allerdings hat er übernommen bei der Uraufführung meines Singspiels "Die Entdeckung des Vaters bei gemäßigt leichter Gartenarbeit". Sie fand zwei Monate später im Apollosaal der Staatsoper Unter den Linden Berlin statt. Hierbei handelt es sich um eine schwarze, groteske Humoreske, wie man dem Namen des Stückes auch eigentlich schon entnehmen kann. Diese Inszenierung war eine Co-Produktion zwischen dem Deutschen Theater und der Staatsoper. Mit mozartisch angehauchten Musiknummern und absurden Handlungsabläufen wird dargestellt, wie vier Menschen miteinander reden wollen und einfach nicht zueinander finden.

Nach erfolgreichen sieben Vorstellungen rief der Intendant mich zu sich. Ich dachte, ich hätte irgendetwas falsch gemacht, aber er gratulierte mir dazu, dass ich der Erste gewesen sei, der es geschafft hätte, nach über 18 Jahren den Apollosaal zu über 90% Besucherauslastung zu füllen. Aber was soll schon falsch laufen mit Schauspielern des DT und Musikern der Staatskapelle! Das Libretto schrieb wiederum Frank Bruder und Thomas Langhoff, Intendant des DT, ermöglichte die Zusammenarbeit der beiden Häuser.

Neuland

In dieser Zeit reifte in mir allmählich die Erkenntnis, dass ich mir als Komponist von Musiken, die überwiegend von Wort, Bild und Szene abhängig waren, einen guten Ruf erarbeitet hatte. Mein eigentliches Anliegen aber, absolute, also reine Konzertmusik zu schreiben, habe ich, auch bedingt durch das enorme Arbeitspensum, das ich zu leisten hatte, beinahe aus den Augen verloren. Hier jetzt anzusetzen bedeutete aber, so gut wie von vorne anzufangen. Es ist nicht leicht, im etablierten Konzertbetrieb einen Fuß in die Tür zu bekommen, zumal Musiken für Film und Schauspiel nie so recht wahrgenommen und oft als notwendiges "Beiwerk" abgetan werden.

Für mich ist bis heute oberste Priorität, zu komponieren, was ich im Konzert selbst gern hören würde und was mich als kleiner Junge veranlasst hat, diesen Beruf ergreifen zu wollen. In diesem Punkt bin ich mir bis heute treu geblieben, da ich fest davon überzeugt bin, dass es völlig egal ist, wann ein Stück geschrieben wurde, solange es nur gut ist.

Mehr zu diesem komplexen Thema finden Sie auch unter "Schönbergs Denkfehler und die damit verbundene Geschichte einer Fehlentwicklung".

Doch damals wusste ich selbst noch nicht, wie man z.B. eine Sinfonie zu schreiben hätte. Mir war völlig klar, dass ich mit meiner radikalen Art, tonal zu komponieren, schon mit meinem Erstlingswerk ein Werk würde hinlegen müssen, das rein handwerklich völlig unantastbar ist. Alle großen Sinfonien in- und auswendig zu kennen, und selbst ihren Aufbau auf's Genaueste studiert zu haben, reicht nicht, um zu wissen, wie man es bei einem eigenen Werk zu tun hätte. Es ist eben etwas Neues. Und jede Musik ist anders.

So musste ich mir zuerst etwas überlegen, was mich zunächst wirtschaftlich unabhängig macht. Irgendwann kamen meine Frau und ich auf den Gedanken, eine Senfmanufaktur zu gründen. Warum gerade Senf? Na, ob Senfonie oder Sinfonie, da wollen wir uns mal nicht so haben! Inzwischen waren auch zwei Töchter da, die uns mit ihrem ständigen Hunger in den Ohren lagen. Im Jahr 2003 war dann die Eröffnung unseres Manufakturladens "SenfSalon Berlin" in Kreuzberg. Das war eine goldrichtige Entscheidung, denn neben der Produktion von über 40 Sorten Senf, 8 verschiedenen Chutneys und diversen anderen Feinkostprodukten, blieb immer noch genügend Zeit, dem Komponieren nachzugehen. Die wohnzimmerähnliche Atmosphäre in unserem Ladengeschäft und der darin befindliche Flügel gaben dem Ganzen ein privates Flair, so dass sich nicht nur die Kundschaft bei uns sehr wohl fühlte, sondern ich selbst auch das Gefühl hatte, in den eigenen vier Wänden zu sein.

Endlich hatte ich die nötige Muße, meine Gedanken ganz auf das zu konzentrieren, was mir so auf der Seele brannte: meine erste Sinfonie. Skizzen zu diesem Werk hatte ich seit fast 20 Jahren gemacht, bin aber nie sehr weit darüber hinaus gekommen. Doch es kam der Tag, an dem ich genau spürte, dass es soweit ist. Die Sätze 2 bis 4 gingen mir leicht von der Hand, leider fehlte mir aber die zündende Idee zum ersten Satz. Doch wusste ich mir zu helfen.

Da ich bei reiner Konzertmusik nie Bilder sehe, sondern die Musik rein als solche empfinde, jedoch durch meine Theater-, Opern- und Filmerfahrung genug Routine hatte, drehte ich sozusagen den Spieß um. Ich erinnerte mich, dass z.B. Beethoven in seinen Sinfonien Shakespeare-Dramen als dramaturgische Vorlage nutzte. Meine Überlegung war nun, welche Stimmung ich am Anfang der Sinfonie erzeugen möchte. So stellte ich mir eine gelöste, leicht melancholische Situation vor, die sich erst später zuspitzt. Nun musste ich nur noch etwas finden, das in etwa diese Atmosphäre beschreibt. Ich wurde fündig bei Schillers "Die Kraniche des Ibykus". Diese lyrische Vorlage verwendend ging ich nun daran, musikdramaturgisch das umzusetzen, was Schiller inhaltlich beschreibt. Ich habe also nicht die Ballade vertont, sondern sie nur als dramaturgische Vorlage verwendet. Musik folgt aber seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten, und so konnte ich das Gedicht auch irgendwann beiseite legen, da die Musik nun endgültig ihr Eigenleben entwickelt hat. Ich bin in der guten Hoffnung, dass meine 1. Sinfonie in näherer Zukunft zur Uraufführung kommen wird.

Chr. SchambachUm zum Ende meiner Lebensbilder zu kommen, sei hier noch erwähnt, dass ich gerade mitten in der Arbeit an meiner 2. Sinfonie stecke. Es wird ein fünfsätziges Werk für großen gemischten Chor und Orchester. Die Arbeit ist schon weit gediehen. Diesmal habe ich den ersten Satz auch zuerst geschrieben. Ich hoffe, innerhalb des nächsten Jahres das Ganze glücklich zu Ende zu bringen.

Ich würde mich freuen, wenn ich durch meine Lebensbilder die Leser für meine Gedanken und Ansichten interessieren konnte.

Last edited: September 26, 2023, 17:28

Schwierigkeitsgrade

hier gelisteter Werke

1 ganz leicht (Anfänger)
2 leicht (Laienmusik)
3 Amateurmusik
4 Liebhaber
5 Musik für Profis
6 extrem schwierig

werden di­rekt bei den Kom­po­si­tio­nen an­ge­ge­ben.

 

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